Ob eine Singgruppe, die gerne wieder singen würde, auch singen darf? Das Gesundheitsamt verweist darauf, dass das Singen ja irgendwo zu verorten sein müsse. Und zur Verordnungslage über Raumnutzungen gebe das Bürgertelefon des Landkreises Auskunft. Man spürt förmlich die Erleichterung am anderen Ende des Telefonhörers - Aufgabe delegiert, Fall erledigt. Die Frage, ob das Singen unabhängig vom jeweiligen Ort in Gruppen erlaubt sei, bleibt unbeantwortet. Beim Bürgertelefon wird erst einmal klargestellt: Schriftliche Auskünfte gibt es nicht. Steht ja schon alles da? Wo genau? Antwort: Muss ich auch erst einmal nachschauen. Vorschlag: Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen vom 8. Mai 2020, Artikel 1, § 2 h? Tatsächlich - darauf läuft es schließlich hinaus. Denn da sind bei allen Möglichkeiten, die allmählich und unter strengen Bedingungen wieder eröffnet werden, Bläser und Chöre ausdrücklich ausgenommen. Ob es sich bei einer Singgruppe allerdings um ein Bildungsangebot im außerschulischen Raum handelt? Ob der Passus vom Satzbau her als generelle Ausnahme zu verstehen ist? Was die vagen Sprachspiele und Pseudoklärungen an Deutungsspielräumen offen lassen, wird durch forsche Bestimmtheit der Frontliner in den Behörden wettzumachen versucht. Die Ärmsten haben wirklich eine undankbare Aufgabe: zwischen halbgaren juristischen Vorgaben mit überschaubarer Halbwertszeit und berechtigten Rückfragen und Änderungsbegehren aus der Bevölkerung hin und her zu jonglieren. Wie kann man so blöd sein? Die Frage haben in den letzten Wochen sicher viele lauthals oder im Stillen gestellt - auf allen Seiten. Und denen, die dazwischen sitzen, kommt diese Frage sicher auch selbst manches Mal in den Sinn - im Blick auf die Uneinsichtigen in beiden Richtungen. Den Verwaltungsfachangestellten sei an dieser Stelle einmal herzlich gedankt. Und auch den juristischen Abteilungen des Landes wie der Kirche kann kaum kein Vorwurf gemacht werden, selbst wenn das Aufeinandertreffen von Verordnungen und Alltagswirklichkeit absurde Blüten hervorbringt. Die herausfordernde Situation ist und bleibt komplex. Niemand kann alles überblicken. Und vieles, was am grünen Tisch zu Ende gedacht erscheint, wirkt in der Praxis wie ein Entwurf von Ahnungslosen, der aber bereits im Entwurfsstadium Geltung erlangen soll. Hinterher ist man immer schlauer. Wir alle sind in den allermeisten Fällen schlauer, weil wir immer erst im Nachhinein den Finger in die Wunde legen, für deren Heilung aber nur die allervorlautesten Selbstüberschätzer gerne die Verantwortung hätten, die so vom eigenen Zeigefinger beeindruckt sind, dass sie die Zeigefinger all derer nicht wahrnehmen, die auch nur allzu gern Recht haben und in offenen Wunden herumstochern wollen... Auch die Juristen landauf-landab machen derzeit einen beeindruckenden Job. Perfekt? Nein, ganz sicher nicht, aber ernsthaft, fleißig und ehrlich um Optimierung bemüht. Die Dinge beim Versuch, alles richtig zu machen, nicht zu verschlimmbessern, ist übrigens schon ein echter Erfolg. Wer mehr erwartet, ist offenbar in Utopia oder irgendeiner anderen Phantasiewelt zu Hause. Also Erwartungen runterschrauben - und geduldig bleiben! Und vom 25. Mai an gilt die neue Verordnung. Da lässt §2 h dann etwas mehr Spielraum, ist präziser und kann doch nicht jedem Anliegen gerecht werden und jede Eventualität vorausahnen. Beim Umgang (nicht nur) mit dieser Misere hilft übrigens ein dreifaches Rezept: 1. Wertschätzung für erkennbares Bemühen und nicht erst für die erfolgreiche Tat, denn Scheitern kennen wir alle, aber Wertschätzung motiviert dranzubleiben; 2. Gnade mit dem Amtsschimmel und allen, die ihn reiten; denn ohne Gnade und Barmherzigkeit zerfleischen wir uns irgendwann gegenseitig; und 3. Humor - und ja: der darf auch gerne mal über die Strenge schlagen... (Do want to hear a corona virus joke? You probably won't get it...) Ob das alles alternativlos ist, das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden...
© H.-U. Kreisel
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