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Zerrissene Zeit - Julius Lehmann spielt Debussys "Le petit noir"

Wed, 29 Apr 2020 01:18:33 +0000 von Michael Kranzusch

Konfis Jugend Musik
Die "Mutter aller Pandemien"
1918, das Jahr, in dem der französische Komponist Claude Debussy (1862–1918) starb, war zugleich das Jahr, in dem die sogenannte Spanische Grippe ausbrach, die den 1. Weltkrieg (17 Millionen Tote) überdauerte und bis 1920 in 3 Wellen zwischen 27 und 50 Millionen Menschenleben forderte (bei einer Weltbevölkerung von damals ca. 1,8 Milliarden Menschen). Man geht von 500 Millionen Infizierten und einer Sterblichkeitsrate von 5 bis 10 Prozent aus. Aufgrund der genetischen Verwandtschaft mit etlichen folgenden Grippeepidemien galt die Spanische Grippe als „Mutter aller Pandemien“. 2020, gut 100 Jahre später kehrt mit der COVID-19-Pandemie ein Alptraum zurück. Ob die Bedrohung ähnlich gravierend ist, darüber gehen die Ansichten der Experten auseinander.

Zerrissene Zeit
Mit Debussys bekanntem Klavierstück Le petit noir (bekannter als Le petit nègre) spielt Julius Lehmann hier ein spätes Gelegenheitswerk, 1909 entstanden unter dem Einfluss der US-amerikanischen Minstrelsy, einer Showform, bei der sich Weiße als Schwarze verkleideten und das (weiße) Publikum mit Songs, oft im Ragtime-Rhythmus, Tänzen wie beispielsweise dem Cakewalk und Comedy-Darbietungen unterhielten. 100 Jahre haben in dieser Hinsicht viel geändert. Gleich geblieben ist das Gefühl, in einer Zeit der Umbrüche zu leben, hin- und hergerissen zwischen Traditionswahrung und Fortschrittsbestrebungen, zwischen wirtschaftlichen und kulturellen Träumen einerseits und realen Bedrohungen wie panischen Ängsten andererseits. Der Begriff "Ragtime" wird oft hergeleitet aus der Wendung ragged time („zerrissene Zeit“) ab, was sich auf die synkopierte Melodieführung und ihren Kontrast zum starren Rhythmus der Begleitung bezieht.

Musik ist Bewegung
Auch Le petit nègre beginnt als Ragtime. Der lyrische Mittelteil, dessen Melodie zur Pentatonik tendiert, ist mit espressivo und pianissimo überschrieben und führt nach einem Crescendo zurück zum lebhaften Anfangsteil. - Die musikalische Bewegung, in die Julius Lehmann uns hier mit seiner Interpretation hineinnimmt, ist ein guter Anlass, sich der eigenen inneren Bewegung in der Zeit des Ausnahmezustandes bewusst zu werden. In heiterer Gelassenheit oder nachdenklich, lebhaft oder leise... Was bewegt uns in diesen Wochen?  (MK)

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