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Konformismus als Gehorsamskult

Mon, 05 Jul 2021 20:46:52 +0000 von Michael Kranzusch

Meditation Impulsbeitrag Monatslosung
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Gehorsam hat einen schlechten Ruf. Wer Gehorsam übt, steht im Verdacht, so zu tun, als könne man Verstand und Gewissen an die Mächtigen und Wissenden delegieren - an die, denen man mehr zutraut als sich selbst und denen man an Motivation, Argumenten oder Durchsetzungsfähigkeit unterlegen ist. Die Verantwortung gebe man damit praktischerweise auch gleich mit ab. Schuld seien ab sofort die anderen, wenn wider Erwarten irgendetwas nicht so läuft, dass man es auch im Nachhinein noch gut heißen könnte - dann nämlich, wenn sich die moralische Stimmung in der Gesellschaft oder die politische Großwetterlage mal wieder gedreht hat. Wer Gehorsam zu einer Tugend erhebt, muss damit rechnen, dem Lager der ewig Gestrigen zugeordnet zu werden, die sich dem Prinzip "Führer befiehl! Wir folgen..." verschrieben hätten. Allerdings gilt diese Zuschreibung in weiten Teilen unserer Gesellschaft nur dann, wenn es gerade zweckdienlich ist - um missliebige Zeitgenossen zu diskreditieren und ihnen mit bösen Unterstellungen zuleibe zu rücken; sollen Sie doch sehen, wie sie sich daraus wieder frei strampeln... Dass in vielen Zusammenhängen Anpassung erwartet und Widerspruch keineswegs honoriert wird, wird gerne ausgeblendet. Das gilt in betrieblichen und Verwaltungshierarchien ebenso wie in Parteien, die sich sonst ihrer Liberalität rühmen. Wer nicht spurt, wird wieder auf Spur gebracht oder aussortiert - in der Regel stillschweigend, manchmal auch spektakulär. Der Erwartungsdruck wächst. Und die Spielräume werden enger...
Die Alternative dazu - so könnte man meinen - müsste eigentlich freie Entscheidung in gewissenhafter Verantwortung heißen. Aber weit gefehlt. Die gleichen Leute, die beim politisch-weltanschaulichen Gegner stumpfe Herdenmentalität und Unterwerfungsrituale ausmachen, sind sich nicht zu schade, selbst Gehorsam zu fordern für gesellschaftliche Maßnahmen, die ihnen persönlich einleuchten. Dass sie auch anderen einleuchten müssten, um mehrheitlich geteilt zu werden, erscheint da als lästiger Umweg. Abweichende Überzeugungen werden deshalb gerne auf einen Mangel an Aufklärung zurückgeführt. Wer genug weiß und verstanden hat, wird die Dinge ja gar nicht anders sehen können, als man selbst. Und wer störrisch auf einer anderen Einschätzung der Sachlage, auf anderen Schlussfolgerungen und anderen Zielen beharrt, muss halt zu seinem Glück gezwungen werden - mit Gesetzen und Verordnungen, mit Steuern, Bußgeldern und Strafen, flankiert von einem unaufhörlichen Strom an tendenziösen Beiträgen auf allen verfügbaren Kanälen. Der Effekt ist ein zweifacher, wie sich hierzulande an den verschiedensten Themen ablesen lässt: Eine große Zahl an Zeitgenossen lässt sich durch einseitige Information doch irgendwann überzeugen, viele weitere passen sich an, wagen nicht mehr aufzumucken und verhalten sich erwartungsgemäß. Und eine hartnäckige Minderheit widerspricht. Dass darunter immer auch Leute sind, die fragwürdige Beweggründe und Ziele für ihren Widerstand haben oder nicht weniger fragwürdige Argumente und Umgangsformen, lässt sich trefflich verwenden, um den Widerstand insgesamt zu diskreditieren, zu brechen und schlussendlich zu marginalisieren. Dass es solche Leute auf allen Seiten gibt, wird gerne unterschlagen. Erlaubt ist, was den eigenen Interessen dient. Allerdings wird so ein Anpassungsdruck erzeugt, der auf Konformismus zielt - m.a.W. auf vorauseilenden Gehorsam. Auch klassischen Gehorsam gab es übrigens stets auf der Basis von Überzeugung oder Taktik.
In dieser Ausgangslage hören wir den Monatsspruch für den Juni 2021 aus der Apostelgeschichte 5,29: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen." Wer den Gehorsam gegenüber Gott höher gewichtet als den Gehorsam gegenüber Menschen, muss wissen: Vor Gott ist jedes Taktieren ohnehin zum Scheitern verurteilt. Gehorsam gegenüber Gott - nicht zu verwechseln mit Gehorsam gegenüber einer zeitweise mächtigen Kirche - kann es nur auf der Basis einer Glaubensüberzeugung geben. Es geht nicht darum "Männchen zu machen", wie ein entsprechend dressierter Hund - es geht um Einklang mit dem, was uns als Wille Gottes erscheint. In der Nachfolge Jesu ist das offen - aber nicht beliebig - zu interpretieren. Sein beispielhaftes Reden und Tun zeigt, worum es geht: hingebungsvolle Liebe in der Zuwendung zu allen Menschen in ihrer Bedürftigkeit. Leicht ist das nicht. Gehorsam unter diesen Vorzeichen, hat weniger das Problem der Verantwortungslosigkeit als vielmehr das der Überforderung. Barmherzigkeit mit allen, die sich auf diesen Weg einlassen, ist deshalb unerlässlich - auch Barmherzigkeit mit sich selbst. Wir werden immer wieder scheitern. Aber Gehorsam beginnt mit dem Horchen und Hören. Alles weitere wird sich ergeben, wenn daraus eine Überzeugung entstanden ist, die zur Tat drängt...
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